Wir wohnen in einer mittelgroßen Stadt, in einem kleinen Wohngebiet, welches sich dort versteckt, wo niemand ein Wohngebiet erwartet. Zwischen einer Hauptstraße und einer Mini-Allee liegen eingeklemmt 5 Spielstraßen. Sie biegen also quasi von einer Hauptstraße ab und denken - huch. Es ist sehr sehr nett. Und wir hoffen, dass wir weiterhin derart unbeachtet hier vor uns hinleben können.
Das Viertel ist kein Neubauviertel, es ist nach dem Krieg gewachsen. Es gibt hier keine großartigen Villen, es gibt (sehr) kleine Reihenhäuser, kleine Mietshäuser mit bis zu 5 Parteien und auch mal ein frei stehendes Häuschen. Wir wohnen in einer Doppelhaushälfte, die eigentlich auch ein Reihenhaus ist und stehen uns im Erdgeschoss gerne gegenseitig auf den Füßen. So - jetzt wissen sie das. Was ich aber beschreiben möchte:
Sitzen wir auf der Treppe vor unserem Häuschen, schaue ich auf das Haus gegenüber. Nach dem Krieg gebaut, recht klein, wenig Grundstück nach hinten raus und bewohnt von 2 Brüdern, die am Wochenende immer abreisen.
Und wissen Sie, was die haben? Die haben ein Geländer an der Treppe. Mit geschmiedeten Katzen drauf. Und immer, wenn ich diese Katzen auf dem Geländer anschaue, denke ich:
Was für coole Katzen. Und was noch viel cooler ist - diese Katzen auf dem Geländer braucht kein Mensch. Sie sind vollkommen nutzlos - aber voller Liebe geschmiedet und angebracht worden. Und wie wenig passen sie in diese Welt. So gar nicht zu so vielen Aussagen oder Situationen, die wegkürzen, was nicht dringend benötigt, was uns nicht nach vorne bringt.
Ich stelle mir dann immer vor, wie es wohl gewesen ist. In dieser Vorstellung haben die Eltern nach dem Krieg dieses Haus gebaut. Wie gesagt, es ist nicht groß, das Grundstück ist es auch nicht. Es gibt keinen Pomp, das waren, wie alle, die damals hier gebaut haben, keine reichen Leute. Aber wahrscheinlich war es kurz nach dem Krieg. Wahrscheinlich waren sie unendlich froh, sich zu haben. Morgens aufwachen zu können, ohne Angst vor dem Tag, dem Tod, dem Schrecken. Also haben sie dieses Haus gebaut, ein Heim für sich und ihre Kinder. Und irgendwie hatten sie währenddessen Lust auf dieses Katzengeländer. Vielleicht hat er es selbst gebaut, vielleicht auch nicht. Und es macht keinen Sinn, es ist aber unfassbar anrührend. Das sind jetzt keine furchtbar genialen Katzen. Der Gedanke, der Akt an sich, dass diese Katzen überhaupt da sind, ist rührend.
Und er lässt auf eine andere Zeit schauen.
Es gibt diesen Bericht vom Zukunftsinstitut, in diesem geht es darum, wie wir die Welt erleben werden, wenn wir das Gefühl haben, die Corona Krise überwunden zu haben. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir dann wieder Geländer mit Katzen bauen. Das wir genießen, was wir haben, das wir unseren Herzen ein Stück folgen.
Wenn sie nur ein Kind haben und ausreichend Geld verdienen, stehen sie schnell im Verdacht, den Spross zu verwöhnen. Ich habe immer viel gearbeitet, mein Sohn war also recht früh und wohl auch regelmäßig ausreichend lang in der Betreuung. Das habe ich so gewählt - jede andere Wahl ist auch in Ordnung. Aber wenn wir zusammen waren, konnte ich ihm nicht vormachen, dass er nicht die Nummer 1 ist. Es waren keine anderen Kinder da, um die ich mich hätte kümmern müssen, kein Mann, keine Familie. Wenn er einen Wunsch hatte, hatte ich das Bedürfnis, ihm diesen zu erfüllen. Damit er und ich glücklich waren. Damals habe ich in der Familie und im Freundeskreis viel argumentiert mit - man kann einen Mangel nicht simulieren. Das ist nicht authentisch, das funktioniert nicht. Man kann immer vernünftige Argumente anbringen (vor sich! dann klappt es auch mit dem Kind) - und Pomp gab es bei uns auch nie. Aber den ein oder anderen Luxus haben wir uns gegönnt. Das ging von Urlaub bis zur freien Seite in meinem Bett. Wir haben es immer genossen. Alles war, wie es sein musste, damit es funktioniert. Aber in Sachen Wertschätzung seinen Dingen und der Situation gegenüber war mein Sohn nie spitze. Wie sollte er auch?
Ich wünsche mir, dass wir nach dieser Krise mal wieder die Augen aufmachen. Nur das Entbehren von Dingen steigert die Wertschätzung. Das -nicht-immer-verfügbar sein. Ja, wir mussten noch im Plattenladen peinlich berührt vorsingen - sie wissen was ich damit meine, was sich alles verändert hat. Immer alles sofort, immer alles da. Jetzt nicht mehr. Und zwar aus unumstößlichen Gründen. Und danach? Alles anders. Weniger, kaputt, muss wieder aufgebaut werden, ist ggf. viel viel teurer als vorher. Aber vielleicht schmeckt es dann wieder besser, riecht besser, fühlt sich ganz anders an?
Ich bin eine alte Romantikerin. Bleiben sie gesund. Lassen sie uns genießen.
Und Katzengeländer bauen.